Reformation - historischer Kontext
Die evangelischen Christen feiern am 31. Oktober den Reformationstag, weil an diesem Tag vor 500 Jahren Martin Luther seine berühmt gewordenen 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben soll. Ob Luther seine Thesen tatsächlich an der Kirchentür angebracht hat, ist in der Forschung allerdings umstritten. Unstrittig ist hingegen, dass Luther darin das Ablasswesen kritisierte, weil die Glaubenden sich dadurch ihres Heils zu Unrecht sicher wähnten. Nach Luthers Ansicht kam es auf die innere Reue des Christen an, damit ihm Gott die Sünden vergibt. Es bedürfe nicht der sakramentalen Vermittlung, schon gar nicht durch den Verkauf von Ablässen. Auf Grund dessen verfasste Luther auf Latein seine Thesen gegen den Ablass, die Grundlage für eine gelehrte Disputation sein sollten. Er übersandte sie am 31. Oktober 1517 an den Erzbischof von Mainz. Die Thesen wurden, entgegen der ursprünglichen Absicht Luthers, ins Deutsche übersetzt und verbreiteten sich aufgrund des Buchdrucks schnell. Dies gilt als der Beginn der Reformation.
Eng verbunden mit Luthers Arbeit war sein persönliches religiöses Erleben. Ausschlaggebend waren dabei sein starkes Sündenbewusstsein und die wachsende Gewissheit, dass der Mensch nicht aus eigener Kraft und auch nicht durch die von der Kirche angebotenen Mittel vor Gott bestehen und das Heil erlangen können.
Die Reaktion der katholischen Kirche ließ nicht lange auf sich warten. Sie führten zu einem Ketzerprozess gegen Luther, der seinen Höhepunkt in der Verhängung einer Reichsacht fand. Luther hatte zuvor auf dem Reichstag zu Worms 1521 abgelehnt, seine Thesen zu widerrufen. Die Gefahr für Luther voraussehend ließ ihn Friedrich der Weise auf dem Rückweg von Worms überfallen und entführte in auf die Wartburg. Dort hielt sich Luther bis März 1522 als „Junker Jörg“ getarnt, auf. Er nutzte die Zeit intensiv und schuf die Grundlagen für ein evangelisches Gemeindeleben. Zudem übersetze Luther in dieser Zeit das Neue Testament ins Deutsche.
Ungeachtet der Reichsacht breitete sich die reformatorische Bewegung zwischen 1521 und 1525 rasant aus. Geistige Unterstützung erhielt die Reformation durch das Aufkommen des Humanismus im Spätmittelalter und die Reichsfürsten, vor allem durch Kurfürst Friedrich von Sachsen. Ihre Ausbreitung erfolgte jedoch „von unten“, also durch das Wirken von zahlreichen umherziehenden Predigern.
Nach 1525 war die Reformation ausschließlicher als zuvor eine Sache der Landesherren. Sie wurde jetzt in den Territorien durch von der Obrigkeit geleitete Kirchen- und Schulvisitationen durchgeführt. 1526 erstmals in Kursachsen. Zum theologischen Ringen um die richtige Auslegung der Bibel traten auch bald politische Aspekte hinzu. Die neuen Gedanken gaben den Reichsfürsten eine theologische Begründung, die von Rom auferlegte Abgabenlast reduzieren zu können. Das Entstehen der protestantischen Landeskirchen stärkte ebenfalls die Autonomie der Fürstentümer. Bedeutende protestantische Territorien im Deutschen Reich waren die Landgrafschaft Hessen, die Kurpfalz, das Kurfürstentum Sachsen und das Herzogtum Württemberg.
Die theologische Grundlage erhält die Reformation jedoch erst 1530 auf dem Augsburger Reichstag, nachdem sich die Reichsstände 1529 auf dem Reichstag in Speyer gegen eine Majorisierung in Glaubensangelegenheiten protestiert hatten. Da sich Karl V. auf dem Augsburger Reichstag der Reformation versagte, ihr aber aus außenpolitischen Gründen und wegen der mangelnden Unterstützung der katholischen Reichsstände nicht entgegentreten konnte, kam es zu konfessionellen Spaltung des Reiches.
Um 1540 schien die Reformation im ganzen Römischen Reich zu siegen. Nachdem sich schon eine große Zahl von weltlichen Reichsständen zu ihr bekannt hatten, und bereits der Ordensstaat Preußen in ein weltliches Herzogtum umgewandelt worden war, standen jetzt auch andere geistliche Fürstentümer vor der Säkularisierung. Für das Schicksal der Reformation ist jedoch das Jahr 1555 entscheidend. Nach dem Verzicht Karls V. auf die Leitung der deutschen Angelegenheiten erhielten im Augsburger Religionsfrieden die weltlichen Reichsfürsten das Recht der freien Religionswahl. Die geistlichen Fürstentümer wurden wurden in ihrem Besitzstand gesichert. Damit war die religiöse Spaltung des Reiches rechtlich anerkannt. Die Reformation wirkte somit weit über die eigentliche Reformationszeit hinaus und bildete einen Wendepunkt hin zur Entwicklung der modernen Gesellschaft der Neuzeit.
Nina von Imhoff